Janis Schmelzer, IG Farben vom "Rat der Götter" Aufstieg und Fall.
Schmetterling Verlag, Stuttgart 2006, 200 S. ISBN 3-89657-469-8


Janis Schmelzer, ein profunder Kenner des IG Farben - Konzerns, (erinnert sei an die Studie "Devisen für den Endsieg", 2003 beim gleichen Verlag erschienen), stellt die Absicht seiner Studie in der Einleitung wie folgt dar: "Schlaglichtartig wird das Verhältnis der aufstrebenden Chemiefirmen zu der jeweiligen Staatsmacht in den drei aufeinander folgenden Staatsformen beleuchtet. Die Untersuchung konzentriert sich auf die Betrachtung des Arrangements der Persönlichkeiten, die für das Werden des Chemiegiganten eintraten, und auf die Frage in welchem Maße ihre wirtschaftspolitischen Ziele mit denen der herrschenden Führung in Bezug standen. Die Untersuchung konzentriert sich auf die Betrachtung des Arrangements der Persönlichkeiten, die für das Werden des Chemiegiganten eintraten…" (S. 9).
Für das Kaiserreich stellt er die einflussreichen Persönlichkeiten Carl Duisberg, Carl Bosch und Fritz Haber in den Vordergrund. Für die Zeit Weimarer Republik untersucht er die wachsende Einflussnahme der Direktoren der sich 1925 zur IG Farben zusammenschließenden Chemiefirmen, die sich machtbewusst als der "Rat der Götter" (Ein Auftragsgemälde mit Duisberg, hervorgehoben im weißen Anzug sitzend, ist auf dem Einband abgedruckt) verstanden. Die engen Verflechtungen zwischen der Nazi-Diktatur und der "IG – Farben" sollen am Beispiel der Aktivitäten der nun den Konzern beherrschenden Vorständler Carl Bosch und Carl Krauch bewiesen werden.
Das Buch ist in fünf Kapitel gegliedert
Das erste Kapitel "Die Vorläufer" behandelt die Zeit vor und während des I. Weltkrieges mit der Gründung des "Gemeinschaftsrates" 1916 über die Nachkriegskrise bis zur Gründung der IG Farben 1925. An der, den Prozess der Konzentration in der deutschen Chemieindustrie prägenden, Persönlichkeit, des "angestellten Unternehmers" Carl Duisberg, für den "der wissenschaftliche Geist …eine Eigenart des deutschen Nationalcharakters" (S. 16) war, analysiert der Autor das Expansionsbestreben, welches in Zusammenarbeit mit militärischen Eliten zum 1. Weltkrieg und im Kriege zu Kriegsverbrechen an Soldaten und ausländischer Zivilbevölkerung führte. Die Zitate aus Duisberg Denkschriften von 1904 und 1915 und anderen Dokumenten (z.B. Brief BASF vom 16.November 1916, S. 25) sind treffend. Im Unterkapitel 1.4. "Klassenauseinandersetzungen 1918 – 1924" belegt Janis Schmelzer die offene Parteinahme von Vertretern der "Weimarer Republik" zum Schutz der Interessen der IG-Herren.
Das zweite Kapitel, das umfangreichste, behandelt die Zeit von der Bildung der "Interessengemeinschaft der deutschen Teerfarbenfabriken AG (IG Farben)" 1925 bis zur Machtübergabe an Hitler am 30.01.1933. Im Zentrum steht dabei die IG-Spionage-Zentrale "Berlin NW 7". Viele der hier beheimateten Büros des Konzerns, so der Autor, dienten insbesondere der Vorbereitung auf den 2. Weltkrieg, als auch der Militarisierung der Wirtschaft
Der Autor beleuchtet weiterhin die Aktivitäten der IG in aller Welt. Die Namen der IG-Manager Max Ilgner, Carl Bosch , Carl Krauch, Fritz Gajewski als auch die Firmen Standard Oil und Norsk Hydro werden genannt, und damit verbunden, die der im Berliner Büro beheimateten Abteilungen zur Tarnung von Auslandsbesitzungen der IG vor dem deutschen Fiskus, wie auch die vielfältigen Verquickungen mit Wehrmachts- und Rüstungsdienstellen, um die Profite zu maximieren.
Im Unterkapitel "Vom ‚Kalle-Kreis’ zum ‚Freundeskreis Reichsführer SS’" veranschaulicht Schmelzer die Verbindungen zu den politischen Interessenswahrern in der "Weimarer Republik" über die frühzeitige finanzielle Förderung der Nazi-Partei ab Januar 1932 bis hin zur Installation von Hitler als Reichskanzler, wie auch die Zusammenarbeit mit den Mussolini - Faschisten. In einem weiteren Unterkapitel schildert er den Aufbau und die Tätigkeit der "einzigen deutschen konzerneigenen Kolonialschule" (S. 94) in der Dübener Heide.
In Unterkapiteln werden die Entsendung von Konzernvertretern in Nazi-Ministerien (z.B. Carl Krauch in Görings "Vierjahresplanbehörde"), die Auslandswerbung für den Nazi-Staat, die Südosteuropa-Pläne, die Konzernpolitik der "judenfreien" NS-Musterbetriebe belegt.
"Krieg und Neuordnung" behandelt Schritte der IG zur Tarnung eigener Tochterfirmen in zu erwartenden "Feindstaaten", der Unterstützung des spanischen Putschgenerals Franco gegen die demokratisch gewählte Regierung, zur Beutesicherung in den von der Wehrmacht okkupierten Ländern Europas. Aber es werden auch die Anstrengungen von IG-Beauftragten in enger Zusammenarbeit mit NS-Dienststellen zur Sicherung des IG-Vermögens für die Nachkriegszeit beleuchtet, wofür die IG-Farben die Schweiz bevorzugte.
Im letzten Kapital "Die Täter unter Anklage" wird die juristische Aufarbeitung der verbrecherischen Rolle dieses Konzerns, beginnend mit Versuchen die IG bereits nach dem I. Weltkrieg zur Verantwortung zu ziehen über die Verbrechensbeweise im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess (Zitat des amerikanischen Anklägers Telford Taylor: "... das schwerstwiegende, soweit Industrielle in Nürnberg als Angeklagte in Betracht kamen."[Quelle: Taylor, Telford, Nuremberg Trails], S. 174) über den Nürnberger "IG Farben Prozess" 1947/48 bis hin zu den Auseinandersetzungen zwischen den Opfern und führenden Vertretern der ehemaligen IG Farben, die in Nachfolgeunternehmen tätig waren, und der "I.G. Farben in Auflösung".
In diesem Kapitel bezieht der Autor eindeutig Stellung für die Forderungen der Opfer. Ausführlich wird der Schlussvortrag des Vertreters der Nebenkläger, Überlebende aus Auschwitz in der DDR, Prof. Dr. Karl Friedrich Kaul im Frankfurter Auschwitz-Prozess 1963 – 65 ([Quelle: Der Auschwitz – Prozess, Das Verfahren] S.181 ff.) dokumentiert.
Dem Buch liegt ein umfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis zugrunde. Wichtige Dokumente sind zum Teil als Faksimile abgedruckt. Eine Erläuterung benutzter Abkürzungen erleichtert das Verständnis.
Der Autor wird seinem Anliegen, "einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis des Phänomens IG Farben zu leisten" vor allem durch Beweisführung mit den Unternehmensdokumenten, die zum Teil erstmals publiziert werden, durchaus gerecht.
Die Verfolgung der Aktivitäten zur Kriegsvorbereitung und der verschlungenen Wege der I.G. zur Tarnung ihrer Tochterfirmen im Ausland erschweren in ihrer Detailtreue etwas die Lesbarkeit.
Insgesamt ein empfehlenswertes, trotz der Detailfülle, handliches Lehrbuch über die Machtfülle und politische Praxis eines transnationalen Mammutkonzerns.
Parallelen zum gegenwärtigen Konzentrationsprozess von "Global Playern" kann der Leser selbst ziehen.

Klaus Woinar

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