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nach Stalingrad und ihrer Überwindung (Beitrag - Entwurfsfassung - auf dem Kolloquium am 30. Januar 2003 in Potsdam zum 60. Jahrestag der Schlacht von Stalingrad)
I. Seit jenem 1. September 1939 hatte die Mehrheit der Deutschen ein Wechselbad von Gefühlen und Gedanken, von Stimmungen und Erwartungen schon durchlebt. Dann kam am 3. Februar 1943 per Sondermeldung des Oberkommandos der Wehrmacht die niemanden mehr überraschende Mitteilung vom Ende der Stalingrader Schlacht. Ein Versuch, die stimmungsmäßigen Auswirkungen des Krieges auf die deutsche Bevölkerung bis dahin zu periodisieren, ergibt etwa folgendes Bild: Erstens zerbrachen mit der Bekanntgabe des Kriegsbeginns gegen Polen die Hoffnungen, der "Führer"" werde die deutsche Außenpolitik am Rande des Krieges entlang steuern. Doch wurde der Schock, den die Kriegserklärungen Frankreichs und Großbritanniens auslösten, gedämpft durch die Erfolgsmeldungen über die rasche Niederwerfung Polens und damit die Beseitigung der Gefahr eines Zweifrontenkrieges. In einer zweiten Etappe, anfänglich war das die Zeit des "komischen Krieges", besaßen die Deutschen zunächst kaum Vorstellungen, wie das Kriegsgeschehen sich entwickeln könnte. Darauf wurde mit der Niederwerfung und der Kapitulation Frankreiche eine Antwort gegeben, die vor dem Hintergrund der Weltkriegserfahrung ebenso überraschend wie erlösend wirkte. Daran schloss sich - drittens - im Spätsommer 1940 eine relativ kurze Zeitspanne der Friedenserwartung, die sich auf die falsche Hoffnung gründete, dass Großbritannien den Krieg allein nicht fortsetzen werde. Als die zerschlagen war, fehlte erneut jede konkrete Vorstellung, wie eine Rückkehr zum ersehnten Frieden möglich sein könnte. Viertens: Die erneute Ausdehnung des Krieges ungeachtet der Kürze des Feldzuges auf den Balkan verstärkte aufkommende Besorgnisse über die Überdehnung der eigenen Kräfte und im Hinblick auf die Länge des Krieges. Fünftens aber folgte dem Einfall in die Sowjetunion die Gewissheit, das auch bei günstigstem Verlauf des Feldzuges im Osten der Weg zum Frieden immer weiter zu werden drohte. Das Ende der Hoffnungen auf einen erneuten Blitzsieg und die militärischen Rückschläge des Winters 1941/42 - dies sechstens - begannen in Verbindung mit der Kriegserklärung an die USA, die Frage nach der Länge des Krieges durch die Frage nach dem ungewiss gewordenen Wie seines Endes und dem noch zu entrichtenden Preis für einen deutschen Sieg zu verdrängen. Ein Jahr vor Stalingrad, zweieinhalb Jahre nach Kriegsbeginn, waren mithin an die Stelle von Gewissheiten zunächst Fragen getreten. Betrachten wir diesen Moment des Krieges ein wenig genauer, denn nur dann sind Ort und Ausmaß der "Stalingrad-Krise" richtig zu bestimmen, die in der Geschichtspublizistik häufig als ein gar zu abrupter Absturz der Stimmung im Deutschen Reich dargestellt wird. Unbehagen trat bereits früher ein und die deutsche Führung musste im Februar 1942 Anstrengungen zu seiner Bekämpfung unternehmen. Dabei nutzte sie aus, dass die Bevölkerung weithin keine Vorstellung davon besaß, was an der Ostfront eigentlich geschehen war. Sie suchte natürlich Optimismus zu verbreiten, ließ aber die Frage nach der Dauer des Krieges gegen die UIdSSR - anders als 1941 - aus, bereitete gar auf einen weiteren Kriegswinter (1942/43) vor und erklärte, es käme schließlich nicht darauf an, wie lange ein Krieg dauere, sondern wie er ende. Prüfungen stünden noch bevor, Gefahren würden noch zu überwinden sein, aber, beteuerte Göring unter Berufung auf den "Führer", der nach wie vor alles fest in seiner Hand, der Endsieg sei sicher.3 Doch vermochten hinhaltend-beruhigende Verlautbarungen den Wunsch der Deutschen nicht zu schmälern, der "Bolschewismus" möge noch im Jahre 1942 besiegt werden und den deutschen Soldaten ein zweiter Kriegswinter im Osten erspart blieben4. Genährt wurde er auch durch den zunehmenden Druck der anglo-amerikanischen strategischen Luftoffensive gegen deutsche Städte - mit den verheerenden Angriffen gegen Lübeck (28./29. März 1942), Rostock (23.- 27. April 1942) und Köln (30./31. Mai 1942) und die Hoffnung von deren Bewohnern und ebenso derf anderer gefährdeter Städte, nach einem Sieg im Osten und der Entlastung der Luftwaffe dort im Reich besser geschützt zu sein Das Schlimmste, so die von Hitler Ende April 1942 selbst verkündete Botschaft, läge bereits hinter den Soldaten.5 Gleichzeitig machte seine Rede - nach dem Urteil des Sicherheitsdienstes - einem großen Teil der Bevölkerung klar, dass sie sich "auf einen totalen Krieg einstellen" müsse, eine Formulierung, die damals in der öffentlichen Propaganda noch nicht gebraucht wurde.6 Goebbels verstieg sich zu der These, man habe das Kunersdorf Friedrichs II. hinter sich gebracht7, eine Bezugnahme auf den Siebenjährigen Krieg, die den meisten Deutschen erst der zu dieser Zeit gezeigte Spielfilm "Der große König" überhaupt verständlich gemacht haben dürfte. Von da und bis an das Ende des Krieges wurde der preußische König immer wieder bemüht, zum Zwecke der Abwiegelung - seine Lage sei viel schlechter gewesen - und um Endsiegeszuversicht nicht verloren gehen zu lassen oder neu zu wecken. Ein anderer Rückgriff in die Geschichte, schon unternommen in Hitlers Botschaft anlässlich des Parteigründungs-Jubiläums im Februar 1942, bezeichnete es als Erfolg, dass es gelungen sei, dem Schicksal Napoleons und seiner Truppen im Jahre 1812 zu entgehen.8 Das Scheitern des ursprünglichen Kriegsplans erschien als eine - freilich schmerzliche - Episode, aber doch nur als ein Wechselfall, wie er sich im Verlaufe militärischer Auseinandersetzungen eben zuzutragen pflegte. Unter der Masse der Deutschen standen noch nicht die Perspektiven des Kriegsverlaufs im Vordergrund der Diskussionen, sondern die Verluste an toten und das Leid der verwundeten und der an der Ostfront befindlichen eigenen Soldaten. Das änderte sich, als im fortschreitenden Frühjahr 1942 die Erwartungen auf eine rasche Wiederaufnahme der versprochenen Offensive enttäuscht wurden. Nun drängte sich Erörterungen in den Vordergrund, ob es bis zum nächsten Winter gelingen werde, im Osten ganz Herr der Lage zu sein (was immer man sich darunter vorzustellen vermochte, denn wer das ensthaft versuchte, geriet in Schwierigkeiten9), zumal die Äußerungen der Führer zurückhaltender und unbestimmt geworden waren. Manche Deutsche beschlich die Befürchtung, andere waren sich schon sicher, dass die Zeit gegen die Deutschen arbeite. Es wurden auch Erfahrungen mit der Dauer des Ersten Weltkrieges belebt10 und mit Sorge die Rüstungen der USA und Großbritanniens verfolgt.11 Das Bild des Gegners im Osten hatte sich zu wandeln begonnen. Er verfügte offenbar ungeachtet seiner nur zu schätzenden Verluste noch immer über für den Kampf zu mobilisierende Menschen, ja, anders als Deutschland samt seiner Verbündeten über kaum zu erschöpfende Rüstungsreserven. Unwillig wurden Formulierungen wie die von "Stalins letzten Reserven" gehört oder gelesen.12 Mit Hoffnungen auf eine neue große Offensive verknüpfte sich die Vorahnung erheblicher eigener Verluste. Diese Bedenken, deshalb wurde an sie hier erinnert, tauchten nicht - wie häufig dargestellt - erst Anfang1943 auf, dann freilich ungemein verbreiteter und vertieft. In der Literatur wird bildlich für den Beginn des Jahres 1942 von einem Stimmungsknacks, für den des Jahres 1943 von einem Stimmungsschock geschrieben. Die nicht auf die Apothekerwaage zu legenden Begriffe sind anregend, denkt man - im Bilde bleibend - hinzu, dass aus dem Knacks demnach kein Bruch wurde. Im Grunde verfiel die Kriegsstimmung in Deutschland im Frühjahr 1942, dies auch infolge der sich verschlechternden Ernährungslage. Das Brotrationen wurden herabgesetzt und die Qualität des Brotes schlechter, Obst und Gemüse waren rar und verteuerten sich, so dass sie in Arbeiterkreisen unerschwinglich wurden. Selbst Magermilch unterlag inzwischen der Rationierung.13 Einsparungen begannen zum Kriegsalltag zu gehören. Zeitungen wurden dünner. Besorgnisse richteten sich in den Städten vor allem auf die Gesundheit der Kinder und Jugendlichen. Ein Teil der Bevölkerung klagte über dauernde Hungergefühle.14 Psychische und physische Belastungen der Kriegsjahre schlugen sich in einem raueren Ton nieder. Die Volksgemeinschaft wurde gegeneinander ruppiger, eine Höflichkeitskampagne wurde inszeniert.15 Militärisch galt vielen der Krieg als gewinnbar, aber es wuchsen Zweifel, ob er wirtschaftlich "noch mehrere Jahre" durchzuhalten sein werde.16 Kurzum: das machtvolle Bild Großdeutschlands, das beispiellose Kriegserfolge errungen hatte und weite Gebiete Europas noch fest im Griff hielt und dessen Aussichten begannen im Urteil eines Teils der Deutschen auseinander zu fallen. Dann ertönte nach Monaten zum ersten Mal wieder im Rundfunk die Siegesfanfare vor einer Sondermeldung des OKW17. Anfang Juli wurde der Beginn der Offensive an der Südfront bekannt gegeben. Dort war sie mit dem Blick auf das Erdöl in manchen Kreisen der Bevölkerung auch erwartet worden.18 In der Erleichterung, ja "Erlösung", welche der Wiederbeginn offensiver Kampfhandlungen der Wehrmacht im Mai und Juni auslöste, spiegelten sich noch einmal die Zweifel darüber, wie stark die Wehrmacht im Osten nach dem Kriegswinter 1941/42 überhaupt noch sei. Nun hofften Millionen, es werde der Krieg im Osten bis zur Unfähigkeit des Gegners, die deutschen Stellungen noch anzugreifen, geführt. Dunkle Vorstellungen von einem Ostwall wurden gehegt, an dem sich Reste der "Bolschewiken" dann die Köpfe einrennen könnten. Die Fotos von deutschen Soldaten "am Wolgastrand" und von der Reichskriegsflagge auf dem Elbrus ließen wieder die schönsten Siegeserwartungen aufkeimen. Die Stimmung wechselte. Die Bestechung durch Erfolgsmeldungen funktionierte noch und die Deutschen funktionierten, an der Front wie in der Heimat. Dennoch kann von diesem völlig systemkonformen praktischen Verhalten de Masse der Deutschen nicht kurz auf ihre geistige und mentale Verfassung geschlossen werden. Das Bild von den Deutschen als eine hinter Hitler dicht marschierende Kolonne (sei es als Täter- oder als Opferkolonne), in der nicht gedacht, nicht gefragt, nicht gezweifelt wurde, dass die Zeitgenossen geistig und mental als Herde betrachtet, dumm, einfältig, aufgehetzt, wird der realen Geschichte nicht gerecht und, schlimmer noch, es täuscht Heutigen einen Fortschritt vor, auf den keinerlei Probe gemacht ist. Wirklichkeitsnäher ist das Bild, dass die Herstellung der unstreitigen Einheit von Führer, Führung und Volk als Prozess ansieht, in dessen Verlauf diese Einheit immer wieder neu geschaffen wurde und sich zugleich in einem Wandel befand. Für unseren Fall: Die Siege im Süden der Ostfront bewirkten in der zweiten Jahreshälfte 1942 anfänglich eine solche erneute Befestigung, der "Knacks" war repariert. Doch dass die Eroberung Stalingrads sich hinzog und die anglo-amerikanischen Truppen in Nordwestafrika gelandet waren und sich auf dem Vormarsch durch die französischen Kolonien in Richtung Osten gemacht hatten, um die deutschen und italienischen Truppen in die Zange zu nehmen, ließ die Hochstimmung des Sommers 1941, die vom Führerhauptquartier bis in die Hinterhöfe deutscher Arbeiterviertel und entlegene Dörfer gereicht hatte, nicht wieder aufkommen.
II. Zweieinhalb Monate später wurde vom OKW eingestanden, dass die 6. Armee in Stalingrad eingeschlossen war und von Tag zur Tag wurde es mehr zur Gewissheit, dass es vor ihrem Untergang kein Entrinnen gab. Die offizielle Propaganda begann, die Deutschen auf das Ende der Schlacht einzustimmen. Noch vor deren Ende (30. Januar/ 2. Februar) sank die Stimmung der Bevölkerung auf den Tiefpunkt. Die Berichte des Sicherheitsdienstes schrieben wurde von einer die Menschen "bedrückenden Entwicklung"19 , von "bedrückter Stimmung"20 und "bedrückten Gemütern"21 , von "bedrückenden Gefühlen"22 , "bedrückenden Tatsachen"23 und "allgemein bedrückter Einstellung"24, von "hartem und bedrückenden Ernst"25, "besorgten Fragen"26 und ebensolchen "Erwägungen"27, von "ernster Besorgnis um die Zukunft", die auch in der NSDAP existiere28, von "großer Sorge"29,von "absinkender Stimmung"30, von "zermürbenden" Einflüssen gegnerischer Propaganda31, immer wieder von "tiefer Erschütterung"32, auch von "ausgesprochen kopfhängerischer Stimmung"33, von Volksgenossen, die "jetzt schon den Kopf hängen lassen"34 und anderen, die "nahe daran" wären, "den Mut sinken zu lassen"35, von "ernster und nachdrücklicher Verfassung"36 und "ernsten Gesprächen"37, von "bedenkensvollen Äußerungen"38, von "allgemein bedrückter Einstellung" und "pessimistischen Betrachtungen"39. Erst als die Berichterstatter - verfrüht - glaubten, die psychologische Situation habe sich schon zu ändern begonnen, gebrauchten sie den Ausdruck "Schock"40, der sich heute in der Historiographie antreffen lässt, beispielsweise in der Feststellung, die Schlacht bei Moskau 1941 habe der Haltung der Bevölkerung einen Knacks gegeben, Stalingrad dann aber wie ein Schock gewirkt. Schließlich gerieten in die geheimen Informationsberichte Formulierungen wie die von der "Furcht vor der weiteren Entwicklung" und von einer "verängstigten Sicht der zukünftigen Ereignisse"41 und vom "Austausch der Befürchtungen" in jedenfalls zum Teil erregt geführten Gesprächen.42 Die Nachricht von Kämpfen in Charkow sei mit "sehr großer Bestürzung" aufgenommen, vom denkbaren Verlust Kiews werde schon gesprochen.43 Die Berichte von den planmäßigen Rückzügen und Begradigungen der Front galten vielen als geschönt, da auf anderen Wegen Nachrichten gewonnen worden waren, die zweifelsfrei von Fluchten zeugten. Das Volk, lautete ein Befund, "gehe nicht mehr mit".44 Soweit die Kennzeichnung der emotionalen Reaktionen. Wie aber stand es um die geistigen, also um die analytische Verarbeitung des Geschehens, die doch in ihren Wirkungen anhaltender zu sein pflegt? In den Wochen nach der Bekanntgabe des Endes der Schlacht lassen sich zwei Phasen erkennen. Die erste, relativ kurze war durch zwei Fragen nach den Ursachen der veränderten Kriegslage45 gekennzeichnet: Wie konnte es geschehen? Und: Musste es so geschehen? Die erste ließ sich außerhalb der Kreise eingeweihter Militärs nicht beantworten, dafür fehlten die erforderlichen Informationen. Doch dass Fehlrechnungen der Führung mitgewirkt hatten, lag zu Tage und wurde besprochen. Deutlich äußerte sich ein doppelter Zweifel: er betraf die Richtigkeit der Entschlüsse der militärischen Führung und die Wahrhaftigkeit der Begründungen, mit denen sie in Presse und Rundfunk gerechtfertigt wurden.46 Zwei Wochen nach der Kapitulation der 6. Armee lautete eine verallgemeinernde Feststellung, dass sich die Bevölkerung den "Führungsmitteln" entzöge und das meinte, dass sie sich die Erklärungen des Geschehens nicht mehr aneigne, sondern sich auf der Basis amtlicher Meldungen und sonst gewonnener Informationen eigene Gedanken mache und selbständig zu Schlüssen gelange.47 Bedrängender noch war die zweite Frage, betraf sie doch das Leben und Sterben einer unbekannten, mit Sicherheit in die Zehn-, womöglich in die Hunderttausende gehende Zahl von Wehrmachtsangehörigen. Sie stellte die oberste Führung und ihre Propaganda unter einen Begründungszwang. Die Antwort bestand in der Hauptthese vom "Beitrag der 6. Armee zur Rettung Europas". Doch die Erklärung, es habe zur Opferung dieser Armee keine Alternative gegeben, schlug nicht durch. Vor allem Frauen fragten nach dem "Sinn des Opfers von Stalingrad"48 und gerade die Angehörigen von Soldaten der Paulus-Armee, die über das Schicksal von Söhnen, Brüdern, Ehegatten im Ungewissen waren, lehnten "die offizielle Sinngebung des Opfers" ab.49 Doch auch die Fragen nach der Verursachung des Desasters kehrten wieder, als die Vertreibung der Aggressoren aus dem Kaukasusgebiet begann und fortschritt, als Woroschilowgrad und Rostow verloren gingen und Charkow wieder umkämpft wurde. Doch zunächst trat an die Stelle der Suche nach den Ursachen der Wende die Versuche, sich ein möglichst reales Bild des so arg veränderten Zustands zu machen und dessen zu erwartende Folgen zu erwägen. Mitte Februar lautete eine Einschätzung, es existierten die "Anfänge einer Vertrauenskrise".50 Im Volke wachse die Zahl derer, die sich frage, "wie das alles enden solle".51 Was also dachten die Deutschen in diesem Moment über die Kriegslage und deren Entwicklung? Allgemein war die Überzeugung, dass der Krieg im Osten entschieden werden würde. Dem wurde die pessimistisch stimmende Tatsache zugeordnet, dass alle Gebietsgewinne des Jahres 1942 verloren gegangen waren oder das dies bald geschehen werde.52 Jedoch wurden die Raumverluste nicht für so schwerwiegend gehalten, verglichen mit dem Potential, über das jede Seite für die Fortführung der militärischen Kämpfe gebot. Unter diesem Gesichtswinkel trat eine vollständige Neubewertung der Kampfkraft der sowjetischen Armee ein. Erklärungen, diese habe in der Winterschlacht ihre letzten Kräfte nahezu aufgebraucht, wurden nicht geglaubt. Es herrschte die Vorstellung, dass der bevorstehende Sommer 1943 im Osten die Entscheidung bringen müsse.53 Ein dritter Kriegswinter würde die Aussicht auf einen Sieg dort und folglich generell zunichte machen.54 Gefürchtet wurde die Ausweitung des Bombenkrieges gegen deutsche Städte. Zweifel betrafen insbesondere die Stabilität der deutschen Kriegswirtschaft. Würde die Ukraine verloren gehen, müssten die Potenzen anderer besetzter Gebiete stärker angegriffen werden, was die Verstärkung des Widerstandes der Bevölkerung nach sich ziehen müsste.55 Vergleiche mit dem Jahre 1918 wurden geäußert. Das schloss die Erkenntnis ein, die Zeit "arbeite" wieder gegen die Deutschen und deren Verbündete. Selbst wer meinte, es werde noch gelingen, die UdSSR auszuschalten, fragte besorgt, wie die geschwächten eigenen Kräfte sodann mit den anglo-amerikanischen Kriegsgegnern fertig werden sollten. Übereinstimmung herrschte unter den Deutschen, dass Stalingrad keineswegs, wie sie das vor Jahrefrist im Hinblick auf die Schlacht bei Moskau massenhaft geglaubt hatten, einer jener Wechselfälle sei, die in Kriegen eintreten. Man sah sich an einem Wendepunkt. Während aber die einen diese Kennzeichnung im Sinne der Führung nur als den Übergang zu exzessiven Kriegsanstrengungen erblickten und aus diesen den Endsieg hervorgehen sahen, betrachteten andere das Geschehen als die Wende vom Sieg zur Niederlage oder, wie es wieder in einem Bericht der Sicherheitsleute hieß, sie sahen im "Fall von Stalingrad den Anfang vom Ende".56 Zwischen Rostow und Kaukasus existiere die Gefahr eines zweiten Stalingrad. Auch Tunesien werde verloren gehen.57 In jenen Februarwochen wurde erstaunlich freimütig über die Kriegssituation geredet und nicht jeder, der seine Zweifel kundtat oder erklärte, er könne an den Sieg nicht mehr glauben58, fand sich augenblicklich in einem Gestapo-Verließ wieder. Was sich öffentlich zutrug, war mehr - um die vielzitierte Formulierung von Goebbels zu gebrauchen - als der "Stuhlgang der Seele". Es wurde nicht räsoniert und geschimpft, sondern gefragt, spekuliert, erwogen, abgewogen. Dagegen konnte das Regime nicht rundum schlagen, und es brauchte das auch nicht. Es konnte darauf rechnen, dass die Stimmung nicht in Kriegsunwilligkeit umschlagen würde, und in Ansatz bringen, dass die Deutschen in ihrer Mehrheit die Niederlage mit ihren Folgen fürchteten und also bereit waren, einen Ausweg sich weisen zu lassen und ihn zu gehen. Klar war, das musste niemand auseinandersetzen, dass nur extrem vermehrte Anstrengungen die kritische Situation zu beheben vermochten. Sie hatten schon in den Wochen vor dem 3. Februar in den spontanen Debatten in der Bevölkerung eine Rolle gespielt, zusätzlich durch den Führer-Erlass vom 13. Januar 1943. Gefragt worden war, woran sich ein Zukunftsglaube überhaupt noch festmachen ließe. Die zweifache Antwort lautete, die von den Propagandisten vorgegeben wurde, lautete: an der - freilich etwas unverlässlichen - "Gerechtigkeit des Schicksals" und eben an einem Mehr an Kräfteanspannung.59 Das war die Situation, als der Propagandaminister am 18. Februar erneut vor die ausgesuchten Teilnehmer einer Veranstaltung im Berliner Sportpalast trat, und sie allein macht deutlich, dass seine Rolle dort keineswegs die eines Wunderheilers oder Wundertäters war. Die Versammelten in der Halle und viele Deutsche im ganzen Reich, führerorientiert und - trotz aller Enttäuschungen - doch führergläubig geblieben, erwarteten nichts sehnlicher, als dass ihnen Mut gemacht würde und Stärkung zukam.60 Um diese Kundgebung, deren Bilder wieder und wieder in Ausschnitten im Fernsehen gezeigt werden, rankt sich eine Legende. Da sei, so scheint dieses Zeugnis unwiderlegbar zu überliefern, ein gewiefter, skrupelloser Demagoge und eine jeden eigenen Urteils unfähige nach Tausenden zählende Masse von Volksgenossen (Berlinern) aufeinander getroffen und diese hätten sich da in die blindeste Kriegswut reden lassen. Dieser Filmstreifen verursacht bis heute Beklemmung. Er verlangt wie jedes andere Dokument eine Interpretation, die mit der Aufklärung des Kontextes beginnen muss. Was ermöglichte eine derartige Kundgebung? Und: Was existierte und geschah hinter dieser Oberfläche? In Deutschland herrschte, regierte und befahl eine zivile und militärische Führungsgruppe, die durch den Willen geeint war, diesen Krieg unter keinen Umständen zu verlieren. Das allein unterschied sie noch nicht von ihren Vorgängern, die sich in der Geschichte nachweisen lassen. Den Unterschied machte die Perspektive einer Niederlage aus, die sie sozial und politische durchweg abstürzen lassen würde, manche ins Bodenlose, d.h. jedenfalls vor die Schranken eines Gerichtes der Sieger. Die Nachkriegsbiographien der Machthabenden des Ersten Weltkrieges würden sich nicht wiederholen. Nicht Flucht und Exil in den Niederlanden oder in Schweden. Kein nahtloser Rückzug ins Privatleben. Diese Gruppe reichte von den "alten Kämpfern", den Reichs- und Gauleitern zur Generalität und weiter in die hohe Reichsministerialbürokratie und sie umfasste die Spitzen des Kommandoapparat der Repressivorgane. Diese Gruppe war an Zahl erheblich größer als die vergleichbare im Ersten Weltkrieg. Und auf ihrem Kerbholz waren andere Markierungen als die von 1914 bis 1918. Entscheidend wurde nun, dass das Hauptziel dieser Minderheit sich von jenem der übergroßen Mehrheit der Deutschen nicht unterschied. Wiewohl deren Nachkriegsperspektive im Falle einer Niederlage nicht mit jener der Minderheit identisch war, die Horrorpropaganda von der Ausrottungsgefahr nicht griff, wollte auch diese Mehrheit den Krieg nicht verlieren. Die Rechnung, das war jedenfalls der älteren Generation bewusst, würde schärfer ausfallen als die des Jahres 1919. Die eigenen Zukunftsaussichten schienen folglich extrem düster. Stalin hat auf diese Stimmung mit dem später vielzitierten Satz reagiert: "Die Hitler kommen und gehen, das deutsche Volk aber bleibt." Wie aber würde dieses "Bleiben" aussehen? Nichts hat die Beobachter der Massenstimmung im zeitigen Jahr 1943 hellhöriger gemacht und stärker aufgeschreckt als Informationen, wonach eine in ihrem Umfang nicht zu bestimmende Minderheit von Deutschen, ihre eigene Zukunft, ginge der Krieg verloren, nicht an diejenige gebunden sah, die der Führerschaft bevorstände. Äußerungen wie, es könnten die Arbeiter unter einer bolschewistischen Herrschaft auch nicht mehr als schuften, galten als Alarmsignal.61 Dass sich einzelne Deutsche über ihr Dasein nach einer Niederlage andere Gedanken machten, als die ihnen von der Propaganda suggerierten, ist überliefert. Die Cassablanca-Formel vom Januar 1943, von der NS-Propaganda benutzt, gab dafür zusätzlich Anlass. Doch war wohl nur ein Einzelfall, dass irgendwo in Bayern beruhigend darüber gesprochen worden war, man würde selbst nur minder betroffen sein, käme man doch in das Besatzungsgebiet der Westmächte. Für die Mehrheit galt, dass Furcht vor der Niederlage sie beherrschte. So brauchten die Machthaber dieses Gefühl nur zu verstärken und das taten sie in einer Weise, die treffend, die Parole "Kraft durch Freude" abwandelnd, als "Kraft-durch- Furcht-Propaganda" bezeichnet worden ist. Kriegsniederlage bedeutete demnach Ansturm Asiens, der Steppe, der sibirischen Tundra, wilder Horden aus nie gesehener und unvorstellbarer Wildnis, Triumph, Herrschaft, Würgegriff des Bolschewismus, am Ende Untergang des Abendlandes. Bilder und Zerrbilder, die von geschichtlichen Vorgängen aus ferner Vergangenheit Kunde gaben, wurden abgerufen oder neubelebt. Auf Kinoleinwänden erschienen in einem Spielfilm in Gefangenschaft geratene preußische Kadetten, Milchbärte noch, durch ein Tau gebündelt wie sonst Garben mit Stricken und dieses Tau geknüpft an einen Pferdesattel, auf dem ein finsterer Bursche thronte, so ging es ab nach Sibirien. Mit dem dominierenden Wunsch der Mehrheit, den Krieg nicht zu verlieren, existierte - bildlich gesprochen - der Haken, an den sich die Millionen durch die Staatsführung nehmen und immer tiefer in das Elend des Krieges ziehen ließen, das nun für die Deutschen erst richtig beginnen sollte und dessen Anfang gleichsam die toten Wehrmachtssoldaten der Stalingrader Schlacht bezeichneten. Die Einheit zwischen Führung und Volk ließ sich auf der Basis dieser Übereinstimmung im Generalziel unter veränderten Umständen neu fundieren. Das führte aus der Stimmungskrise heraus, erleichterte ihre Überwindung und die Aufgabe, die sich Goebbels mit der erneuten Sportpalastkundgebung setzte und deren Schwierigkeitsgrad er vorher wie nachher in der ihn charakterisierenden selbstbeweihräuchernden Weise dramatisierte.62 "Das Volk," notierte er in den Tagen dieser Krise, "ist im Augenblick bereit, alles, was man ihm anbietet, zu schlucken, wenn wir nur den Krieg gewinnen können."63 Er hatte also seine inszenierte Zuhörerschaft nicht für ein Ziel einzunehmen, sondern für Schritte und Methoden, Gesetze und Maßnahmen, von denen er behauptete, dass sie dessen Erreichung sicher bewirken würden. Das Ziel, hier lag der prekäre Punkt, musste als erreichbar gelten und eben darauf richteten sich die Zweifel. Wie war der "Endsieg", eine unaufgebbare Formel, also glaubhaft zu machen, wie eine entschlossene, wieder mit einem Schuss Optimismus gestärkte Kriegsfortsetzungsstimmung zu schaffen? Verkürzt gesagt: durch die Verdrängung von Tatsachen, durch Missdeutungen der Ursachen der eingetretenen Kriegslage und durch phantasievolle Überbewertung der Möglichkeiten, die zur Mobilisierung eigener Kräfte noch existierten. So brachte sich auch Goebbels selbst in Form. Nicht anders der "Führer" in Person, der so auch in seiner nur in den ausgiebigen Notizen des Propagandaministers überlieferten Rede vor den ins Hauptquartier bestellten NSDAP-Gauleitern auftrat. Es ist behauptet worden, dass alles sei eigentlich nur noch Theater gewesen, im Grunde hätte Hitler den Krieg schon verloren gegeben und sei auf den Untergang eingestellt gewesen. Auf die Beantwortung dieser Frage kommt es in unserem Zusammenhang nicht an. Denn zweifelsfrei sind Hitlers Anstrengungen zur Überwindung der wenn auch immer wieder in ihrem Ausmaß bestrittenen, aber doch eingestandenen kritischen Situation. Was also war den Massen an Hoffnung spendenden und stärkenden Argumenten anzubieten? Zunächst einmal der unbestreitbare Tatbestand, dass die faschistische Militärmacht noch stark war, dass sie weiteste Teile Europas ohne akute Gefährdung in ihrem Griff hielt. Vor allem ließ sich nachweisen, dass vermehrte Anstrengungen möglich seien und da ran die Behauptung anschließen, dass ihnen künftige Siege an den Fronten folgen würden. Diese Anstrengungen sollten sich - erstens - auf die Mobilisierung von Soldaten zur Ersetzung der Verluste richten und - zweitens - die Produktion von Waffen und jeglichem Kriegsgerät zum Ziele haben zur Ersetzung der Einbußen, zudem in verbesserter, dem gegnerischen Material möglichst überlegener Qualität. Beides erforderte ein vergrößertes Aufgebot von Arbeitskräften und deren Einsatz unter Anwendung des einzigen Kriteriums: Was ermöglicht die Weiterführung des Krieges und die Herbeiführung einer Wende zu eigenen Gunsten. Was also führt in den "totalen Krieg". Diesem Mobilisierungsvorhaben kam zugute und das verlieh der von Goebbels geführte Propaganda zusätzlich eine gewisse Überzeugungskraft, dass der alltägliche Augenschein dafür sprach, dass im Reich ungenutzte Reserven existierten. In Berichten über die Stimmung in Arbeiterkreisen wurde stereotyp wiederholt, gerade dort würden die "totalsten" Maßnahmen verlangt und immer wieder ein Mangel an Entschlossenheit der Führung kritisiert, sie anzuwenden.64 Das ergibt ein Bild, als seien die Proletarier auf den totalen Krieg geradezu und mehr als alle anderen erpicht gewesen. Was ist der Kontext dieser Zeugnisse? Der bereits länger existierende Unwille in den Kreisen derer, die Tag für Tag in den Rüstungsfabriken schwer schufteten, über die höchst ungleiche Verteilung der Kriegslasten, die von den Regierenden nicht nur geduldet, sondern bis dahin wenn nötig auch verteidigt worden waren. Diese Stimmung ließ sich nun nutzen. Und wie, das exerzierte Goebbels, als er zwischen den beiden Reden vom 30. Januar und 18. Februar, deren Texte wir kennen, gemeinsam mit Albert Speer ein Berliner Panzer produzierendes Werk aufsuchte und dort vor Arbeitern der Belegschaft sprach. Seinen Auftritt dort bezeichnete er selbst als teilweise demagogisch65 und diese Bemerkung lässt sich entschlüsseln. Goebbels, auf dem Felde der sozialen Demagogie seit der "Kampfzeit" geübt, entwickelte, offenbar mit weniger taktischer Zurückhaltung als es dann in der Presse geschah, dass sich Maßnahmen der "Totalisierung" des Krieges vor allem eine geänderte Haltung der oberen Schichten der Gesellschaft verlangten.66 Diese und das dann von den Einschnitten viel stärker betroffene städtische Kleinbürgertum, Händler und Handwerker zumal, konnten in der Tat Vorkämpfer des Projektes "Totaler Krieg" naturgemäß nicht werden. Und von den Bauern wird nur gelegentlich festgestellt, dass sie ohnehin bis an die Grenze ihrer physischen Kräfte schon arbeiten würden, deren Verausgabung also zu steigern ohnehin nicht mehr in der Lage wären. So entpuppt sich der Beifall, den Goebbels von den Metallarbeitern des Rüstungsbetriebes erhielt, hoch wahrscheinlich als Widerhall auf eine aus der Sicht des Propagandaministers ein wenig anrüchige und jeweils auszubalancierende "klassenkämpferische" Inszenierung, auf die drohende Verkündung, von nun an würden die Arbeitsanstrengungen im Kriege unterschiedslos alle treffen, eine Ankündigung, die teils mit Skepsis gehört wurde, die sich später noch vermehrte. Hinzu kam, dass sich auch andere Gefühle der Missgunst und des Neides innerhalb der "Volksgemeinschaft" für den Zweck erneuter Mobilisierung nutzen, wenn auch nicht öffentlich ansprechen ließen. Sie betrafen u.a. die nicht arbeitenden Ehefrauen von Wehrmachtsangehörigen, welche von den staatlichen Geldern, die sie erhielten problemlos, leben konnten,. Die Vorstellung des erreichbaren Kriegssieges, äußerste Anstrengungen vorausgesetzt, paarte sich so mit dem Versprechen, alle würden sie künftig erbringen müssen. Das war auch der Kern der Goebbels-Rede am 18. Februar. Diese Siegesverheißung sollte an Attraktion noch durch die ihr hinzugesetzte Behauptung gewinnen, der "totale Krieg" werde der kürzeste Krieg sein. So stand es auch auf dem einzigen Spruchband, das am 18. Februar im Sportpalast angebracht worden war. Die haltlose Losung trug dem Überdruss Rechnung, den die Dauer des Krieges schon weithin erzeugt hatte, und sie verkehrte die wirklichen Aussichten in ihr Gegenteil. Totaler Krieg - kurzer Krieg - Endsieg - alles andere im Auftritt des Ministers war Schaum, Gischt, Spektakel, Beiwerk, wenn auch nicht zufällig, sondern berechnet. Doch ist die Aufnahme der Rede wie der gesamten Propaganda, die sie fortsetzte und für die sie ein Beispiel gab, nicht ohne noch unverlorene Vorstellungen erklärbar, hervorgegangen und gefestigt aus vielen und nicht nur aus nationalsozialistischen ideologischen Einflüssen. Die eine dieser Vorstellungen und die wohl wesentlichste betraf das Selbstverständnis der Deutschen, die sich noch immer als eine außergewöhnliche Nation (oder wie Faschisten sagten: Rasse) mit Eigenschaften und Fähigkeiten sahen, die jene aller anderen Nationen und Völker überragten. In den Worten von Goebbels: "Wir sind doch das Elitevolk der Erde. Man nenne uns eine Nation, die gleiches zu ertragen und zu leisten in de Lage wäre."67 Dieses Vorurteil aus Hochmut hatte im Winter 1941/42 in den Reihen der Wehrmachtseinheiten, die am Ostfeldzug teilnahmen, gewiss "einen ersten Knacks" bekommen.68 Doch wurde es danach gegen die hauptsächliche Anfechtung verteidigt, die ihm durch den weiteren Verlauf des Krieges ausgerechnet von slawischen und asiatischen "Untermenschen" kam. Es sei deren Massenhaftigkeit, welche in zeitweilige Schwierigkeiten gestürzt hätte und die würden mit den Menschenverluste des Gegners im abnehmen begriffen sein. Und es wäre die Ausstattung dieser Minderwertigen mit Waffen aus dem Westen, die ihnen Erfolge ermöglicht hätten, und daraus ergäbe sich eine Aufgabe für die deutsche U-Boot-Waffe, die auch für lösbar gehalten wurde. Widerspruchsfrei war dieses Bild vom erreichbaren Kriegssieg nicht mehr zu machen. Dass die Gegner und insbesondere seine zivilen und militärischen Führer weder dumm noch primitiv seien, ließ sich nach allen Erfahrungen nicht mehr wegdenken. Die lange beliebt gewesene Propaganda, der zufolge man es mit irgendwelchen Einfaltspinseln zu tun habe, wurde nun abgelehnt. Dennoch: der eigene Führer galt vielen noch immer als der alle überragende Mann, freilich nicht mehr so unangefochten wie 1940. In der Krise kriselte auch das Hitlerbild. Der Schock von Stalingrad brachte die "erste Beschädigung des Führer-Mythos".69 Auch Goebbels gestand sich Anfang Februar 1943 ein, dass "zum Teil sogar das Vertrauen zur Führung, wenn nicht gar zum Führer selbst, angeknackt ist".70 Doch der "Faktor Hitler" stand in der Kriegsbilanz der Deutschen noch immer auf der Habenseite obenan.71 Hitler wurde als die Inkarnation der Willensqualitäten der gesamten Nation angesehen und die wurde auch in dieser Hinsicht als unübertrefflich geschätzt. Extremer Voluntarismus machte fähig, wenn Rechnungen über die Zukunft nicht aufgingen, auf diese Charaktereigenschaft als den alles wie gewünscht entscheidenden Hilfspunkt zuzugreifen: Der Wille, der Wege findet, der Glaube, der Berge versetzt, die Moral nicht als ein, sondern als der kriegsentscheidende Faktor72 usw.
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