Tagungsbericht

Franz von Papen und der deutsche Faschismus
( Vortrag von Dr. Dr. Karl Heinz Roth vor der "Berliner Gesellschaft für Faschismus- und Weltkriegsforschung" am 11. Februar 2003)



Am 11.Februar 2003 hielt der Leiter der Stiftung für Sozialgeschichte Bremen, Karl Heinz Roth in der Gedenkstätte deutscher Widerstand einen Vortrag zum Thema "Franz von Papen und der deutsche Faschismus", zu dem die "Berliner Gesellschaft für Faschismus- und Weltkriegsforschung e.V" in die Berliner Stauffenbergstraße eingeladen hatte. Karl Heinz Roth beschäftigt sich seit mehrere Jahren mit diesem Thema und arbeitet an einer Biographie von Papens.

Die Biografie von Papens, bisher auf seine Rolle als "Steigbügelhalter, Herrenreiter" bzw. "devil in top hat" durch die Historiker reduziert, verlangte, so der Vortragende, nach einem unerwarteten Aktenfund eine neue Perspektive. (Papen hatte 1953 im Bundesfinanzministerium vorgesprochen und mitgeteilt, daß er der Bundesregierung als Rechtsnachfolgerin des "Dritten Reichs" den in der Schweiz vor der Freigabe stehenden Rest eines Bestechungsfonds auszuhändigen habe, über den er während des zweiten Weltkriegs als deutscher Botschafter in der Türkei verfügt habe.)

Die Rekonstruktion der wichtigsten Lebensabschnitte und Aktionsfelder dieses "Treuhänders" sich vielfältig überschneidender Machtinteressen erforderte die Ausweitung des Quellen- und Literaturfundus "Wie stand von Papen zum deutschen Faschismus? Verhalf er ihm nur als Steigbügelhalter der "konservativen Revolution" in den Sattel und verschwand danach wieder mehr oder weniger in der Versenkung, oder - und wenn ja: wann lief er zum Faschismus über und wurde dessen Mitgestalter bis zum Untergang?" Diese Fragen suchte Roth, in seinem Vortrag zu beantworten.

Zu Beginn des Vortrages stellte Karl Heinz Roth die Frage "Was ist Faschismus?"

Roth´s Antwort:"Unter Faschismus verstehe ich jene konterrevolutionäre Bewegung innerhalb der herrschenden Klassen, der Mittelschichten und proletarischer Randgruppen in den meisten europäischen Ländern, die nach dem Ende des ersten Weltkriegs (1918-1923) gegen die sozialen Massenrevolten der Arbeiter, kleinen Bauern und einfachen Soldaten gerichtet war, sich in der Weltwirtschaftskrise (1932 bis 1938) verbreiterte, im Verlauf dieser beiden Phasen in einigen Ländern die politische Macht eroberte und einen in seiner Qualität neuartigen Vernichtungs- und Raubkrieg nach innen und außen entfesselte. Beim Faschismus ist somit zunächst einmal zwischen einer Bewegungsphase, einer- Systemphase und einer Kriegsphase zu unterscheiden.."
Diese Definition gelte nicht für außereuropäische Faschismen, wie den Hindu-Faschismus Boses und den Pan-Turanismus.
Erläuternd fügte er einige spezifizierende Kriterien an:
1. Als erstes stelle sich die Frage nach der sozialen Basis des europäischen Faschismus in seiner Inkubations- und seiner Durchbruchsphase.
-Es handelte sich um Militärs der demobilisierten Armeen, die durch die erfolgreichen Soldatenrevolten in ihrer Identität erschüttert wurden - vom Generalstabsoffizier über den Kommandeur einer Maschinengewehreinheit his zu jenem berühmten Meldegänger, der zunächst als Spitzel in der gegenrevolutionären Bewegung tätig wird.
- An zweiter Stelle staden Exponenten des Besitz- und Bildungsbürgertums, die Söhne von Großgrundbesitzern, Industriellen, Bank- und Handelskapitalisten sowie des Bildungsbürgertums - Studenten und Gymnasiasten der squadre d'azione und der Freikorps.
- Hinzu kamen Repräsentanten der alten und neuen Mittelschichten, die, je älter die faschistischen Bewegungen wurden, diese um so stärker dominierten: Handwerker, Kleinhändler, Klein- und Mittelbauern, kleiner Beamte, Angestellte und Techniker.
- Nicht zu vergessen sind die völkisch-nationalistischen Segmente der Arbeiterklasse, und zwar jene deklassierten Schichten, die sich außerhalb der gewachsenen proletarischen Milieus der Facharbeiterkultur befanden

2. Das zweite gemeinsame Kriterium der europäischen Faschismen war ihre extreme, generalisierte Gewalttätigkeit und der damit einhergehende Todeskult.

3. Das dritte gemeinsame Kriterium war ein extrem zugespitzter Nationalismus. Er richtete sich mit voller Wucht nach innen gegen die proletarisch-sozialistischen "Vaterlandsverräter" und nach außen gegen die Siegermächte, weil sie die jeweilige Nation in den Pariser Vorortverträgen unter dem Primat des nationalstaatlichen Selbstbestimmungsrechts der Völker territorial verstümmelt hatten, im Fall Italien aber auch gegen die Verbündeten, die ihren Partner um die insgeheim versprochenen Früchte geprellt hätten.

4.Als viertes gemeinsame Kriterium nannte Roth Rassismus und Rassenantisemitismus.

5. Mit dem Rassismus und Rassenantisemitismus überschnitt sich in vielen Fällen ein weiteres mentales Syndrom archaischer Mentalitäten: der christliche Fundamentalismus. Roth erinnerte an die Rolle von Kirche und Kurie bei der Machteroberung des italienischen Faschismus und des Caudillo Franco, aber auch bei den Inszenierungen der slowakischen Hlinka-Garden.

6. Auf diesen gesellschaftlichen und mentalen Grundlagen - soziale Zusammensetzung, Bestialismus, Nationalismus, Klassenantisemitismus und christlicher Fundamentalismus - konnten die politisch-programmatischen Apparate des Faschismus gezimmert werden, um ihn an die Macht zu bringen. Das Hauptinstrument dazu war die Einheitspartei, in die die verschiedenen faschistischen Bewegungen aufgingen (Partito Nazionale Fascista in den 20er Jahren, die NSDAP 1933, die "Vaterländische Front" Schuchschniggs 1934, die Falange espanola 1937). Ähnliche Konzentrationsprozesse spielten sich auch auf der Ebene der paramilitärischen Formationen und der faschistischen Nachrichtenapparate ab.

7. Es gab auch Regime, in denen die verschiedenen Strömungen des europäischen Faschismus heftig miteinander um den beherrschenden Einfluss rivalisierten

8. Spätestens hier stellt sich die Frage, wem der europäische Faschismus genützt hat. Auf den ersten Blick ist die Antwort einfach: Er nützte allen denen, die sich durch den Egalitarismus eines sozialistischen Umsturzes bedroht sahen, und die nach dem Abebben der "roten Flut" in der Konfrontation mit den Verwüstungen der Weltwirtschaftskrise endgültig ihr Heil in den vielgestaltigen Regimes der "nationalen Erhebung" suchten. . Trotzdem ist dies nur die halbe Wahrheit, und die Marxisten, die sich nun durch die Quellenevidenz bestätigt sehen, freuen sich zu früh. Das Problem ist nämlich, dass die Herren der großen und mittleren Vermögen und Liegenschaften nicht nur ihr Geld hergaben und ihnen politischen Einfluss ausliehen, sondern auch ihre Söhne, und dass über die oben skizzierten beiden Generationenkohorten die Mentalitäten des Faschismus vor den Vorstandsetagen nicht halt machten - genau so wenig wie vor den Panzertüren der Generalstäbe, den Sitzungszimmern der Ministerialbürokratien und den Gelehrtenstuben. Damit aber verlor der Faschismus seine Instrumentalisierbarkeit innerhalb der Entscheidungszentren, und seit dem auch dort vollzogenen Generationswechsel standen auch dort die Akteure nicht mehr außerhalb.

Im 2. Abschnitt des Vortrages kennzeichnete Roth drei spezielle Merkmale des deutschen Faschismus.

1. Die lange Dauer der Bewegungsphase.
Deutschland gehörte zu denjenigen europäischen Ländern, bei denen der Zusammenstoß zwischen Revolution und Gegenrevolution nach fünf turbulenten Übergangsjahren in einem - institutionell schon 1919 erreichten - politischen Status quo zwischen den Hauptklassen mündete - der Weimarer Republik

2. Der Schritt von den Regierungen der "nationalen Konzentration" zum "Kabinett der nationalen Erhebung" wurde schließlich am 30. Januar 1933 vollzogen, und damit begann vordergründig die Systemphase.

3.Vordergründig erschien der deutsche Faschismus seit dem Sommer/Herbst 1934 als ein Monolith, der die gesellschaftlichen Mächtegruppen in großen Zwangskartellen - Reichsgruppen, Reichsnährstand, Deutsche Arbeitsfront usw. - zusammenfasste, den Staatsapparat und die NS-Bewegung in der Figur des "Führers und Reichskanzlers" verklammerte und den vielstimmigen Chor des deutschen Faschismus auf die politischen Machtpfeiler NSDAP, SS, die Deutsche Arbeitsfront und die in die Bedeutungslosigkeit herabgesunkene SA einschmolz.

Nach diesen allgemeinen Darlegungen wandte sich der Vortragende der Biographie vonPapens, den er in den Kontext des deutschen und europäischen Faschismus setzte.

Franz von Papen wurde 1879 als drittes von fünf Kindern in eine westfälische Adelsfamilie hineingeboren. - Als EIfjähriger in Kadettenschule, um wegen der Erbfolge Berufsoffizier zu werden - 1895 begann Papens militärische Karriere in der kaiserlichen Armee, die ihn zum Mitglied des Großen Genaralstab und im I. Weltkrieg zum Miltärattachè in Mexiko und später zum militärischen Berater osmanischer Armeekorps im Nahen Osten machte.
In der Zeit der Weimarer Republik wandelte er sich von einem Agrar- und Haushaltsexperten des Zentrums zu einem aktiven Gestalter faschistischen Vereinslebens (Herrenklub) mit besten Verbindungen zur Wirtschaftselite.
Seine Berufung zum Reichskanzler des "Kabinettes der Barone" kam für Kenner nicht unerwartet, wie auch seine Rolle als "Steigbügelhalter Hitlers".
Seit dem 30. Januar sind die schriftlichen und mündlichen Verlautbarungen Papens einerseits noch stärker von den Tagesereignissen geprägt, andererseits gewinnen sie aber gerade,jetzt ihre am weitesten ausgreifende Synthese. Das "sacrum imperium" ensteht vor seinem geistigen Auge, eine föderativ regulierte Hierarchie der "Volkstümer", die auf Mitteleuropa ausgreifen und den Bolschewismus nicht nur im Innern, sondern auch in seinen äußeren politischen Manifestationen vernichten.
Der Vortragende wies auf die Rolle des Vizekanzlers von Papen bei der Verhinderung der "2. Revolution" der proletarischen Elemente der faschistischen Bewegung hin, welche im sogenannten "Röhm-Putsch" (Ermordung Schleichers, Boses und Junfs) 1934 die Lösung fand. Papen wird Bevollmächtigter des Deutschen Reiches in Österreich. Er scheitert mit seiner Politik des Anschlusses Österreich (Göring setzt sich durch.)
Das Ziel Papens als Botschafter in der Türkei 1939 bis 1944 bestand darin, die Türkei als Wächter der Landbrücke zu Indien und zum Suezkanal für Interessen Nazideutschlands zu nutzen, um das Britische Empire an seinem sensibelsten Punkt zu schlagen.

Diskussion:
Die Fragen nach der Massenbasis, Wirksamkeit und dem wirklichen Einfluss Papens als Mitgestalter des deutschen Faschismus eröffneten eine offene und kontrovers geführte Diskussion, darunter auch die Frage, welche Spielräume eine historische Persönlichkeit im gesellschaftlichen Rahmen hat.

Andere Diskussionsteilnehmer wiesen auf die Scharnierfunktion Papens zur deutschen Wirtschaftselitehin. Von Papen hatte enge Verbindungen zur Deutschen Bank und zur Dresdener Bank.
Thematisiert wurde auch die Rolle von Papen als Botschafter Deutschlands in der Türkei.
Er bahnte einen 100 Millionen Reichsmark Waffenkredit für die türkische Armee an, suchte die Türkei als Bündnispartner für den Krieg gegen die UdSSR zu gewinnen.
Er organisierte ein effektives Überwachungssystem der deutschen Emigranten in der Türkei, unbekannten Emigranten wurde die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen, einem Prominenten wie Ernst Reuter nicht.
"Jetzt weiß ich weshalb von Papen seinen Kopf behielt und nicht wie Schleicher den seinen 1934 verlor", fasste ein Teilnehmer der Diskussion seine Erkenntnis aus dem Vortrag und der Diskussion zusammen.



Klaus Woinar, Berlin

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